Der Wolf – und wie verschieden er gesehen wird

Der Wolf bleibt Thema und entzweit: Nicht nur, aber insbesondere im Tiroler Oberland. Die einen glauben an die Möglichkeit einer Koexistenz – die anderen, dass speziell die traditionelle Almwirtschaft schlichtweg unvereinbar ist mit der Rückkehr des Beutegreifers. Hoffnung trifft so auf Sorge: Kein Wunder also, dass eine jüngst in der Landeshauptstadt abgehaltene Pro-Wolf-Demonstration vom „Verein gegen Tierfabriken“ (VGT) auf Kritik trifft.

Von Manuel Matt

Ein kleiner Stand, eine Dame im Wolfskostüm – und ein ziemlich monumentales, weil 400 Quadratmeter großes Transparent mit wölfischen Antlitz am Innsbrucker Marktplatz, das Sympathien für den umstrittenen Vierbeiner bekundet. So forderte der „Verein gegen Tierfabriken“ (VGT) am gestrigen Nachmittag die friedliche Beilegung des Interessenkonflikts „zwischen landwirtschaftlicher Tierhaltung und Artenschutz“, wie’s die Aktivistinnen und Aktivisten selbst formulieren, die sich so auch gegen eine „Aufweichung“ geltender Richtlinien auf europäischer Ebene stemmt.

„Wenn der Wolf durch die Berge streift, ist das Gewehr keine Lösung.“

Ein Zusammenleben sei nämlich auch im alpinen Raum möglich, glaubt der Verein, sieht Belege dafür in den Nachbarländern wie der Schweiz und fordert die „rasche Umsetzung von Herdenschutzmaßnahmen“. Setzen will der VGT Tirol in dieser Hinsicht auf „3H“: Herde, Hund, Hirtin oder Hirte. So würden sich weidende Nutztiere nicht nur auf „wirkungsvollste und nachhaltigste“ Weise vor Beutegreifern wie dem Wolf schützen lassen, sondern auch vor Absturz, Unwetter und Krankheit. Mehrere tausend Schafe würden diesen Gefahren zum Opfer fallen – zahlenmäßig weit mehr, als es durch Beutegreifer der Fall sei, sagt der VGT, der von tirolweit 290 Wolfsrissen im vergangenen Jahr spricht. Durch „geeigneten Herdenschutz“ ließen sich solche Vorfälle zwar nicht gänzlich vermeiden, aber doch auf das Minimum reduzieren, während Wölfe als „Gesundheitspolizei des Waldes“ für mehr Balance im Ökosystem sorgen würden. „Wenn der Wolf durch die Berge streift, ist das Gewehr keine Lösung“, sagt die Tiroler VGT-Kampagnenleiterin Nicole Staudenherz: „Im Gegenteil: Die so genannte ,Entnahme‘ – also der Abschuss – führt nur dazu, dass wenig später der nächste Wolf einwandert.“

Weniger abgewinnen kann dem Wolf der stellvertretende Klubobmann der Tiroler Volkspartei, Hermann Gahr: „Wenn Wolf und Bär in Tirol wirklich heimisch werden, ist die flächendeckende Bewirtschaftung der Tiroler Almen über kurz oder lang nicht mehr möglich.“

Foto: VP Tirol/Tanja Cammerlander

„Von der Lebensrealität der Bäuerinnen und Bauern und von Land- und Almwirtschaft keine Ahnung“

Wohl ein rotes Tuch – besonders natürlich für jene, die nach einem Wolfsangriff vielleicht am nächsten Morgen ein totes oder schwer verletztes Tier ihrer Herde auffinden mussten. „Der VGT zeigt mit seinem heutigen ‚Aktionstag‘ einmal mehr, dass er von der Lebensrealität der Bäuerinnen und Bauern und von Land- und Almwirtschaft keine Ahnung hat“, kritisiert noch am selben Tag der stellvertretende Klubobmann der Tiroler Volkspartei (VP), Hermann Kuenz: „Auf den Tiroler Almen ist Herdenschutz schlicht und ergreifend nicht möglich. Wenn Wolf und Bär in Tirol wirklich heimisch werden, ist die flächendeckende Bewirtschaftung der Tiroler Almen über kurz oder lang nicht mehr möglich. Sowohl für den Tourismus, als auch in Hinblick auf extreme Naturereignisse wie Muren und Hangrutsche, die aufgrund des Klimawandels ohnehin zunehmen, wäre diese Entwicklung katastrophal. Die Verkarstung der Almen hätte mit der damit einhergehenden Bodenerosion auch für das Leben in den Tälern gravierende Folgen.“

Vom Anspruch auf Wahrheit.

Dass Herdenschutz sehr wohl funktionieren würde, dafür sieht der VGT hingegen durch Pilotversuche – vergangenes Jahr auch im Tiroler Oberland, auf Musteralmen etwa in Spiss, Ladis und Nauders – bewiesen. Eine „romantische Darstellung“, kritisiert VP-Mandatar Kuenz: „Der Schutz der Weidetiere durch Zäune oder durch Hirten und Herdenschutzhunde verursacht gewaltige Kosten. Außerdem ist der Herdenschutz auf den steilen und exponierten Tiroler Almen nicht umsetzbar. Zudem sind auch Wildtiere in Weidezäunen hängen geblieben und elendiglich verendet. Die Realität beim Herdenschutz schaut anders aus, als sie der VGT den Menschen vorzugaukeln versucht. Fakt ist, dass es ohne Entnahme von Problemtieren in naher Zukunft keine flächendeckende Almwirtschaft in Tirol mehr geben wird. Mit allen negativen Folgen für Landwirtschaft, Tourismus und Sicherheit.“

Titelbild: „Pro Wolf“, sprach der „Verein gegen Tierfabriken“ gestern am Innsbrucker Marktplatz – im Wolf-Plüschkostüm und einem 400 Quadratmeter großem Plakat.

Foto: Nicole Staudenherz
UPDATE vom 12. Juli: Stellungnahme des Vereins „Weidezone Tirol“.

Zu Wort hinsichtlich der VGT-Aktion meldet sich auch der Verein „Weidezone Tirol“ mit Obmann Stefan Brugger aus Sölden. Er meint: „Gott sei Dank leben wir in einem freien Land und jeder kann seine Meinung öffentlich kundtun und für seine Sichtweise eintreten.“ In den Herdenschutz setzt der Verein wenig Hoffnung, „weil er schlicht und einfach nicht möglich ist“, heißt es in einer Stellungnahme, die dafür wiederum entsprechende „Praxisbeispiele in Südtirol, Frankreich, Deutschland und der Schweiz“ nennt. Eine „Koexistenz zwischen Wolf, Luchs und Bär und Weidetieren“ sei so „de facto“ nicht möglich, wenn auch Bauern kein Problem hätten, wenn ein Beutegreifer durch Tirol streifen würde und dabei sogar ein Nutztier reißt. Aber: „Wenn diese Raubtiere jedoch ein Massaker auf der Alm veranstalten, hört das Verstehen auf. Wenn das für den VGT akzeptabel ist, dann werden wir von der Weidezone Tirol keine Gesprächsbasis mit ihnen finden.“ Einen gangbaren Weg sieht der Verein in einem Drei-Zonen-Modell: „Eine Zone, in welcher sich das Raubtier unangetastet aufhalten darf, eine Zone, in denen die Raubtiere gemanagt werden – und eine Zone, in welcher unsere Nutztiere das Recht auf Leben haben.“