„Jede Mauer ist ein Fenster“

Imst: Zweites Laurentiuskonzert 2022 macht Not zur Tugend

Ein herrlicher Sommer mag die ganze Angelegenheit ja in den Hintergrund rücken lassen. Eine Pandemie allerdings kennt keinen Urlaub – und weiß mit infektiösem Charakter noch immer so manchen Strich durch so manche Rechnung zu machen. Auch dem Attensam Quartett & Johannes Bamberger, die eigentlich Dreh- und Angelpunkt des zweiten Streichs der diesjährigen Laurentiuskonzert-Serie am Imster Bergl hätten sein sollen, nun aber das Bett hüten müssen. Glücklicherweise bis auf Quartett-Mitglied Michael Öttl, der an der Konzertgitarre – gemeinsam mit den kurzerhand angeheuerten Perkussionisten Charly Fischer und dem Geiger Andreas Kaufmann – so dennoch eine Alternative kredenzte, die durchaus auf eigenen Beinen zu stehen verstand.

Virtuos an der Konzertgitarre: Michael Öttl

Foto: Matt

Von Manuel Matt

Es ist Meistern so eigen, dass ihr Tun immer so federleicht anmutet. Nicht anders ist es bei Michael Öttl, der das zweite Laurentiuskonzert mit sechs kurzen, wirklich kurzen Stücken des kubanischen Komponisten Leo Brouwer beginnen lässt: Jedes für sich ein ganz eigener Quell von erhabenem Genuss, geschaffen für die klassische Gitarre, von dezent bis kraftvoll, heiter bis wehmütig, schwelgend und träumend, nur um um die geneigte Zuhörerschaft wieder sanft auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. Immer wieder unterstützt ihn dabei Charly Fischer mit variantenreicher Perkussion anhand zahlreicher Instrumente , sei’s am Tamburin, mit der Shékere(-Rassel), mit Kastagnetten oder an der Djembe(-Trommel). Das Ambiente, die einzigartige Akustik des kleinen Laurentiuskirchleins am Imster Bergl vollendet das Erlebnis, lässt auf elektrische Verstärkung verzichten, und wird Öttl nur wenig später später schwärmen lassen. Wie auch angesichts des andächtig lauschenden Publikums: „Wunderbar, hier zu spielen. Sie sind so leise – und es klingt einfach so schön.“

Multiinstrumentaler Perkussionsmaestro: Charly Fischer

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So leicht wie sie dem Gehör schmeicheln, so beinah schmerzvoll ist es, wenn jede dieser kurzen Kompositionen endet. Vielleicht hat sich Öttl auch deshalb entschieden, dann doch noch eine längere, bleibendere Schöpfung Leo Brouwers anzuschließen – nämlich Un Dia de Noviembre, geschaffen im Jahr 1968 und Teil eines gleichnamigen Films von Humberto Solás. Vielleicht eines der schönsten Stücke, die sechs Saiten jemals tragen könnten, verlangt es nicht nur Können und kundige Hände, sondern auch Leidenschaft und Herz: Um wortlos eine Geschichte zu erzählen, vom Leben, vom Tod und von der Schwierigkeit, sich im Aufbegehren gegen seine Unterdrücker nicht selbst zu verlieren. Um Mensch zu bleiben, sagt Luciá zu Esteban, braucht es die Liebe – und dieselbe, um eben Un Dia de Noviembre so spielen zu können wie Michael Öttl, um die schlichte, sanfte Schönheit in der Komposition hervorklingen zu lassen, sie hervorzulocken mit zarten Flageoletts, sie zu führen durch eine Landschaft des Lauter- und Leiserwerdens.

Wellen & Bögen.

Nicht minder abwechslungsreich und zugleich niemals ermüdend sind die Werke von Heitor Villa-Lobos, des bekanntesten Komponisten Brasiliens. Auch hier zeigt Öttl höchstes Feingefühl in jedem Arpeggio, in jedem Ton, in jedem Gleiten entlang der tiefen Bass-Saiten. Spürbar wird so die Faszination Villa-Lobos‘ für die althergebrachten Musik seiner Heimat, der eine gewisse, wunderbare Naivität innezuwohnen scheint, die nur die Allerglücklichsten bis ins Erwachsenenalter begleitet. Vielleicht hat sie sich Öttl auch behalten können, so oder so begleitet ihn beim letzten Stück vor der Pause nochmals Charly Fischer. Der Höhepunkt des Abends, wie sich der Gitarrenvirtuose zuvor schon freut: Wohl wegen dem Theremin, das Fischer mit einem Geigenbogen seinem seltsam schaurig-schönen Gesang entlockt, während der Gitarrenklang in Wellen heranbrandet.

Eine Wohltat für jedes Ohr, das die Geige liebt: Andreas Kaufmann

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Nachdem der Himmel ein paar Tränchen vergossen hat, kehrt Öttl in die Laurentiuskirche zurück. Nun an seiner Seite, an der Violine: Andreas Kaufmann. Damit jene, denen beim Kartenkauf, noch vor Inkrafttreten des Plan B, Schumann versprochen wurde, auch Schumann zu hören bekommen, werden sogleich vier romantisch-wehmütige Miniaturen von Robert Schumann intoniert – gefolgt Niccolò Paganini, der nicht nur Teufelsgeiger war, sondern begeisterter Gitarrist, wie Öttl charmant überleitet. Nach Allegro, Adagio und Rondo nähert sich das Ende diesen malerischen Donnerstagabends, nochmals mit drei Stücken nach südamerikanischer Art, von denen eines sogar mit Michael Langer kurioserweise ein österreichischer Komponist verfasst hat. Zuvor dankt aber Öttl charmant allen Seiten: Dem Publikum, seinen Mitmusikern, dem Kulturreferat, der die Konzertreihe sponsernden Bank Austria und Michael Köck, Obmann des Imster Konzertvereins, der an der Erstellung des Programms beteiligt ist. Dass das Konzert in ursprünglicher, erweiterter Quartett-Form nicht stattfinden habe können, sei traurig, der Abend aber, wie er war, eine glückliche Wendung. „Jede Mauer ist ein Fenster“, sagt Michael Öttl, lächelt und zaubert dann ganz zum Schluss doch noch eine kurze Zugabe hervor: Von Francisco Tárrega und wie geschaffen, um das jubelnde Publikum in diesen lauen Sommerabend zu entlassen.

Bereits kommenden Donnerstagabend (14. Juli) schließt sich wieder Laurentius-Kreis. Es konzertiert das Ensemble Rupecino mit italienisch-französischen Klängen. Beginn ist wie gewohnt um 19 Uhr, Karten gibt’s im Vorverkauf im Kulturbüro und in der Hauptverwaltung der Stadtgemeinde Imst.

Hauptdarstellerin an sich, außen wie innen: Die Laurentiuskirche am Imster Bergl

Foto: Matt